Doppelter Neuanfang
Das Jahr 1945 markierte für die deutschen Unternehmen eine Zäsur. Zugleich war es für sie auch ein Neuanfang – sowohl in den westlichen Besatzungszonen als auch in der sowjetischen Besatzungszone (SBZ) im Osten. Im Westen konnten viele Unternehmen vor allem mithilfe des Marshallplans schnell wieder an ihre früheren Erfolge anknüpfen, während die Geschichte und Entwicklung der ostdeutschen Unternehmen einen gänzlich anderen Verlauf nahmen.
Auch die ostdeutschen Unternehmen blickten auf eine jahrzehntelange erfolgreiche Firmen- oder Familiengeschichte zurück. Doch während sich in den Westzonen, später in der Bundesrepublik Deutschland, Demokratie und Kapitalismus etablierten, entstand in der SBZ, dann der DDR, eine sozialistische Diktatur nach sowjetischem Vorbild: Planwirtschaft und Volkseigentum statt freier Marktwirtschaft und Privateigentum.
Enteignungen und VEBs
Gleich nach Kriegsende begann die sowjetische Militäradministration damit, ihre Besatzungszone nach dem Vorbild der Eigentumsform in der Sowjetunion umzubauen und Tausende Unternehmen zu enteignen. Zunächst wurden über 200 Großbetriebe im Zuge der Reparationspolitik in sowjetische Aktiengesellschaften umgewandelt und dann ab 1953 als sogenannte volkseigene Betriebe (VEBs) an die DDR zurückgegeben. Trotz der Verstaatlichungen gab es zu diesem Zeitpunkt noch mehr als 10.000 private und halbstaatliche Unternehmen, die nicht nur circa 15 Prozent der Industrieproduktion beisteuerten, sondern mit ihren Nischenprodukten immer wieder Lücken füllten, die von den großen Unternehmen nicht abgedeckt wurden. Mit der Machtübernahme von Erich Honecker im Jahr 1971 änderte sich diese Situation jedoch. Anders als sein Vorgänger Walter Ulbricht, der den privaten und halbstaatlichen Unternehmen positiv gegenüberstand, wollte Honecker das Ende des Privateigentums.
Kurzerhand erhielten 1972 alle Unternehmen mit mehr als zehn Mitarbeitern ein vorgedrucktes Schreiben, in dem sie sich „freiwillig“ dazu bereit erklärten, ihren Betrieb an den Staat abzutreten – und das weit unter dem eigentlichen Wert.
Bis zum Mauerfall
Die erzwungene Verstaatlichung hielt nur 17 Jahre, hatte jedoch gravierende Folgen für die Unternehmen. Die von Honecker bei seinem Amtsantritt versprochenen Verbesserungen des Wohlstands für die DDR-Bürger stellten sich zu Beginn zwar ein und die eingeleiteten Maßnahmen führten zu einem Anstieg der Lebensqualität. Doch am Ende erreichten sie das Gegenteil. Höhere Löhne und Renten, staatlich subventionierte Mieten, niedrige Lebensmittelpreise und das versprochene Wohnungsbauprogramm befeuerten den wirtschaftlichen Niedergang des Landes. Als 1989 die Mauer fiel, war die Wirtschaft der DDR am Boden und ein Großteil der Infrastruktur verfallen und marode.
Die Wiedervereinigung brachte – nach 1945 – erneut eine einschneidende Zäsur für den Osten. Zahlreiche Betriebe hörten auf zu existieren oder wurden von Investoren aus dem Westen übernommen. Doch viele andere erfanden sich neu, wagten einen zweiten Neuanfang und konnten an ihre früheren Erfolge anknüpfen. Heute sind sie ein fester Bestandteil der gesamtdeutschen Wirtschaft.
Backmischungen aus dem Osten
Die Kathi Rainer Thiele GmbH, die Backmischungen, Mehle und Backzutaten herstellt und vertreibt, ist eines dieser ostdeutschen Unternehmen, das nach der Wiedervereinigung einen erfolgreichen Neustart geschafft hat. 1951 in Halle (Saale) gegründet, konnte sich das Familienunternehmen bis 1972 seine Eigenständigkeit bewahren. Mit der Wiedervereinigung kam auch die Reprivatisierung. Von da an entwickelte sich das Unternehmen mit einem Marktanteil von 47,6 Prozent zum Marktführer in den neuen Bundesländern. Selbst gegen seinen 1953 gegründeten westdeutschen Konkurrenten Dr. Oetker konnte sich das hallensische Unternehmen bis heute erfolgreich behaupten.
Der Gang durch die Länderhallen auf der diesjährigen Grünen Woche in Berlin zeigt noch einmal deutlich, dass es viele ostdeutsche Unternehmen gibt, deren spannende Firmengeschichte es zu entdecken gilt.
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